Aktualisiert am 8. November 2023
Quelle: Stadt Wiesbaden – Vorausberechnung der Wiesbadener Bevölkerung und Haushalte bis 2040
BBSR: Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung
HSL: Hessisches Statistisches Landesamt
HA: Hessen-Agentur
Neueste Zahlen des Hessischen Statistischen Landesamts (HSL – in der Grafik rot dargestellt) (Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung für Hessen) mit Stand vom März 2023 berechnen für die Landeshauptstadt Wiesbaden einen Bevölkerungsrückgang um 4,1 Prozent (minus 11.489 Menschen) auf 267.461 im Jahr 2050. Dieser Schrumpfungsprozess soll bereits ab dem Jahr 2025 einsetzen. Basis der Vorausberechnung ist der Bevölkerungsstand zum 31.12.2021, der laut den Zahlen des Landesamts bei 278.950 lag.
Oberbürgermeister und Stadtplanungsdezernent Gerd-Uwe Mende reagierte laut einem Zeitungsbericht im Wiesbadener Kurier vom 19. April 2023 offensichtlich unbeeindruckt in Bezug auf etwaige Entwicklungspläne in der Stadt Wiesbaden: Die Bevölkerungsberechnung und die Daten zum Wohnraumbedarf seien „schlicht zwei unterschiedliche Paar Schuhe”. Ignorieren wolle er die neue Prognose aber nicht, sondern zum einen das Amt für Statistik und Stadtforschung voraussichtlich bis zur Sommerpause eine eigene Prognose vorlegen lassen und zum anderen das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt beauftragen, die Wohnraumbedarfsprognose zu aktualisieren.
Inzwischen liegt die "Vorausberechnung der Wiesbadener Bevölkerung und Haushalte bis 2040" seitens der Stadt Wiesbaden mit Stand vom Juli 2023 vor. Bis Ende 2040 wird dort ein Zuwachs um 32.500 Einwohner prognostiziert (in der Grafik oben in Lila dargestellt). Die Marke von 300.000 (plus 4.000 Einwohner) werde im Laufe des Jahres 2025 „geknackt“. Dabei geht Wiesbaden – anders als das Hessische Statistische Landesamt von einer aktuellen Einwohnerzahl von ca. 296.000 aus.
Die Stadt weist in ihrer Erhebung ausdrücklich darauf hin, dass „die Bevölkerungsentwicklung ab den Jahren 2030 etwas spekulativer wird, ist sie doch direkt abhängig von Bauprojekten, die heute noch am Beginn der Planungen stehen. Hierzu zählen beispielsweise die Entwicklung des Ostfeldes, die Umwandlung des AAFES-Geländes in Kastel oder die „Perspektivfläche West“ in Dotzheim/Schierstein. Werden alle „Wohnbaupotentiale“ und „perspektivischen Entwicklungsflächen“ ausgeschöpft, so ist mit einem kräftigen Bevölke-rungswachstum bis zum Ende des Prognosehorizonts zu rechnen.“
Quelle: Stadt Wiesbaden – Vorausberechnung der Wiesbadener Bevölkerung und Haushalte bis 2040
Wieviele Wohnungen in Wiesbaden tatsächlich gebraucht werden, um den Bedarf zu decken, kann also nur durch eine neue Wohnbedarfsprognose ermittelt werden. Die wollte Oberbürgermeister Mende durch das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt aktualisieren lassen. Ergebnisse liegen bislang nicht vor.
Die Stadt Wiesbaden stützt sich also weiterhin auf eine Prognose des IWU von 2020. Danach müssten bis zum Jahr 2040 insgesamt 26.000 Wohnungen geschaffen werden, was einem jährlichen Zuwachs von 1.200 Wohnungen entspreche (Prognose des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) von 2020, die bereits mit demselben Ergebnis 2017 vorgelegt wurde).
Die Stadt verwendet diese Prognose, obwohl das Amt für Strategische Steuerung, Stadtforschung und Statistik (heute: Amt für Statistik und Stadtforschung) der Landeshauptstadt Wiesbaden bereits im Dezember 2018 die „Aussagekraft der Expertise der IWU“ in einer Stellungnahme als beeinträchtigt und „die Ergebnisse als stark verzerrt“ bezeichnet. (Seite 1 der Stellungnahme). Stattdessen empfiehlt das Amt die Prognose der empirica AG (Zuwachs von 700 Wohnungen jährlich). In seiner Stellungnahme zu den Wohnbedarfsschätzungen im Dezember 2018 zieht das Amt folgenden Schluss:
Die Kritik an der empirica-Studie („nur mit Abstrichen“) bezieht sich aber nicht auf die Wohnbedarfe, sondern auf die Schätzungen für Gewerbeflächen:
Die empirica-Studie leitet ihre Bedarfszahlen (teilweise) auch vom prognostizierten Bevölkerungswachstum ab. Sieht den Grund für den Anstieg der Bevölkerungszahlen aber auch in der Entwicklung neuer „Impulsräume“.
Die Stadt entwickelt also nicht nur, um bestehenden Bedarf zu decken. Sie entwickelt und zieht damit erst Menschen mit Wohnraumbedarf an:
Nach dieser Sichtweise würde es also nicht nur um die Befriedigung einer bestehenden örtlichen Wohnraumnachfrage gehen, sondern darum, gezielt weiteren Zuzug zu generieren.
Bezüglich der für den Geschosswohnungsbau nötigen Flächen stellt empirica klar
Der vom Dezernat für Stadtentwicklung und Bau im Oktober 2021 vorgelegte Bericht zur „Wohnbauflächenentwicklung – Umsetzung der ermittelten Potenziale“ bescheinigt der Landeshauptstadt Wiesbaden ein „gutes Potential für die Wohnbauflächenentwicklung“ von 13.300 Wohneinheiten. Dies anhand konkreter Projekte, die zum Teil bereits in verschiedenen Stadien der Projektentwicklung sind (Perspektivfläche West (Westfeld) und Ostfeld sind nicht enthalten!):
Weitere hier nicht aufgelistete Wohnraumpotenziale beziehen sich auf Flächen, über die die Stadt aus unterschiedlichen Gründen (noch) nicht verfügen kann. Sie sind in einem verwaltungsinternen Dokument enthalten, das der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung steht. Auch hier sind die beiden sogenannten "Impulsräume" im Osten und Westen der Stadt nicht enthalten.
Die Expertenbefragung zum Wiesbadener Wohnungsmarkt 2020 zeigt, dass es bei der Debatte zum Bedarf an neuen Wohnungen vor allem um die Bezahlbarbeit der Wohnungen geht. Ob sich eine Wohnung in Wiesbaden finden lässt oder nicht, hängt entscheidend vom zur Verfügung stehenden Budget ab. Das hängt vor allem damit zusammen, dass in den vergangenen Jahren vornehmlich für das „obere Preissegment“ gebaut wurde.
Die Expertenbefragung nennt darum auch Stimmen, die nicht in der Neubautätigkeit die Lösung sehen, sondern in der Steuerung der Mieten:
Tatsächlich ist die Quote der geförderten Wohnungen seit Jahrzehnten rückläufig. Sie betrug 2021 noch 5,9 Prozent bzw. 8.561 Wohnungen absolut (siehe Statistisches Jahrbuch 2021 – Bauen und Wohnen, Seite 11).
Während im Zeitraum 2017 bis 2021 der Bestand an Sozialwohnungen um 1.579 sank, entstanden aber insgesamt 3.207 neue Wohnungen – eben nur nicht mit dem Effekt, dass dadurch die rückläufige Anzahl der dringend benötigten Wohnungen im Niedrigpreissegment aufgefangen worden wäre.
Es fällt auf, dass die Wohnungsnot nicht unbedingt damit zusammenhängt, dass keine Wohnungen existieren, sondern dass die Belegungsbindung weggefallen ist.
Das gilt vor allem in den einst extra hierfür errichteten Wohnvierteln im Wiesbadener Westen, wie aus dem Bericht „Zur Wohnraumversorgung von Wiesbadener Haushalten mit niedrigem Einkommen 2021“ hervorgeht:
Obwohl in den Jahren 2017 bis 2020 insgesamt 3.207 neue Wohnungen entstanden, wurden für das Jahr 2019 3.364 Haushalte registriert, die sich für eine öffentlich geförderte Wohnung bewarben.
Der Grund: Trotz des Zuwachses an Wohnraum insgesamt, sank der Bestand an Sozialwohnungen um 1.579.
Der Wohnungsneubau hatte also nicht den Effekt, dass dadurch die rückläufige Anzahl der dringend benötigten Wohnungen im Niedrigpreissegment aufgefangen worden wäre.
Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass diese "suchenden Haushalte" aktuell keine Wohnung zur Verfügung hätten – sie ist in vielen Fällen aber nicht (mehr) bezahlbar.
Fraglich ist, wie dieser Wohnraumbedarf nun ausgerechnet mit den „Impulsräumen“, die erst noch entwickelt werden müssen, gedeckt werden soll. Auch angesichts der jüngeren Ereignisse im Immobilienmarkt (höhere Zinsen, höhere Baupreise, Energiekosten etc.) stellt sich die Frage, wie ausgerechnet „die grüne Wiese“ mit allen erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen für den Wohnungsbau im dringend zu bedienenden Niedrigpreissegment entwickelt werden soll, ohne dass dazu in großem Umfang hochpreisig vermarktbare Rendite-Objekte entstehen müssten.
Sanieren im Bestand ist der Schlüssel für mehr bezahlbaren Wohnraum und Klimaschutz, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung von Umweltbundesamt (UBA), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) vom 20. Februar 2023.
Haus & Grund Hessen meldete ebenfalls im Februar 2023, dass allein durch Aufstockung von Gebäuden im Rhein-Main-Gebiet 250.000 neue Wohnungen entstehen könnten – ohne jeglichen Flächenverbrauch und teure Erschließungsarbeiten (Pressemeldung Haus & Grund Hessen vom 8. Februar 2023)
Ein Teil des Bedarfs an neuen Wohnungen würde vermutlich erst durch die Entwicklung der sogenannten „Impulsräume“ (Ostfeld, Perspektivfläche West (Westfeld)) hervorgerufen. Diese „Impulsräume“ würden weitere Wohnungssuchende außerhalb des örtlichen Bedarfs anziehen.
Es besteht offenbar ausreichend Wohnraum im oberen Preissegment (12 Euro/ m2 nettokalt und mehr), in dem viele zusätzliche Wohnungen in den vergangenen Jahren (am dringendsten Bedarf vorbei) bereits geschaffen wurden. Probleme bereitet darum das Segment des preisgünstigen Wohnraums bzw. der öffentlich geförderten Wohnungen (Für das Jahr 2019 wurden insgesamt 3.364 bewerbende Haushalte registriert.).
Diese Probleme hängen hauptsächlich damit zusammen, dass Belegungsbindungen sukzessive auslaufen. Hier könnte die Stadt mit Anreizen gegensteuern, bestehenden Wohnraum weiterhin in der Bindung zu halten. Dies würde den Betroffenen ermöglichen, in ihrem Wohnumfeld zu bleiben und deutlich schnellere Lösungen schaffen, als langwierige Neubauprojekte. Die wurden in den vergangenen Jahren bereits angestoßen, konnten aber dem rasanten Rückgang der „Sozialwohnungen“ auch nichts entgegensetzen (2017 bis 2021: insgesamt 3.207 neue Wohnungen, aber der Bestand an Sozialwohnungen sank trotzdem um 1.579).
Es klafft also eine immer größere Schere zwischen Wohnungsbau und Sozialwohnungen. Diese dürfte sich angesichts steigender Baupreise und Zinsen auch in naher Zukunft und – erst recht – nicht durch die kostenintensive Neuentwicklung von „Impulsräumen“ schließen. Im Gegenteil: Die zusätzliche Entwicklung von „Impulsräumen“, setzt gerade „Impulse“ für weiteren Zuzug, der die Konkurrenz um den Wohnraum für Haushalte am unteren Ende der Einkommen eher noch verschärfen dürfte.
Diese Zusammenstellung bezieht sich mit Blick auf die Wohnraumbedarfe im Wesentlichen auf die Betrachtung von BUND und HGON „Bedarf an Wohnraum viel geringer“:
https://bund-wiesbaden.de/fileadmin/wiesbaden/Hintergrundpapier_Wohngebiet_Ostfeld_nicht_erforderlich.pdf
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